Das 8. Barbara-Prammer-Symposium am 24.1.2022 hat unter dem Motto „Leben frei von Gewalt. Die Istanbul Konvention und ihre Perspektiven“ coronabedingt zum zweiten Mal virtuell stattgefunden.
Rendi-Wagner: Wir alle tragen Verantwortung dafür, dass Frauen sicher leben können
Eröffnet wurde das Symposium von SPÖ-Vorsitzender, Klubobfrau Dr.in Pamela Rendi-Wagner, die betonte, dass „Gewalt gegen Frauen keine Privatsache ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir alle tragen Verantwortung dafür, dass Frauen sicher leben können.“ Dass es das Instrument der Istanbul Konvention braucht, „zeigt alleine die Tatsache, dass es im vergangen Jahr in Österreich 31 Femizide und über 50 Mordversuche an Frauen gegeben hat.“ Die Umsetzung der Istanbul Konvention brauche mehr Mittel, mehr Personal, eine unabhängige Koordinierungsstelle, den Ausbau der Hochrisikokonferenzen und einen Nationalen Aktionsplan Gewaltschutz.„Rasche Hilfe rettet Leben“, sagt Rendi-Wagner, die unterstreicht, dass sich die Ungleichbehandlung von Frauen durch die Pandemie in vielen Bereichen verschärft hat: „Wir müssen alles dafür tun, dass Frauen selbstbestimmt und in Sicherheit leben können. Wir stehen auf der Seite der Frauen – ganz im Sinne von Barbara Prammer.“
Bures: Gesellschaftliche Ächtung von Gewalt notwendig
Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures bewertete in ihrer Begrüßungsrede das Barbara-Prammer-Symposium als „Neujahrsempfang der österreichischen Frauenbewegung“. Hier entstehe Kraft und Energie, eine gemeinsame Ausrichtung und Aufbruchsstimmung. Bures führte die US-Poetin Amanda Gorman an, die sagte: „Es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein“. „Sich aus häuslicher Gewalt zu befreien, ist ein immenser Kraftakt, der unfassbaren Mut braucht. Vor allem braucht dieser Kraftakt auch ein Netzwerk an Hilfsangeboten, an gesetzlichen Rahmenbedingungen und die geschlossene gesellschaftliche Ächtung von Gewalt“, betonte Bures, die auch an die gestiegene Zahl der Gewalttaten im Zuge der Corona-Pandemie und die Dunkelziffer bei der häuslichen Gewalt erinnert. Bures betont, dass die Istanbul Konvention als Erfolg zu werten ist: „Alle Länder in Europa sind schrittweise – mal schneller, mal langsamer – in die richtige Richtung gegangen.“ In den letzten Jahren gab es aber „dunkle Wolken“. Elf Staaten haben die Istanbul Konvention noch immer nicht ratifiziert, das ungarische Parlament hat sogar gegen die Ratifizierung gestimmt und die Türkei ist mit 1. Juli letzten Jahres aus der Konvention ausgestiegen, weitere Länder wie Polen, Slowenien und die Slowakei bereiten einen Ausstieg vor. „Unsere Antwort ist klar: Wir stemmen uns vereint mit aller Kraft gegen reaktionäre, rückschrittliche und frauenfeindliche Tendenzen und kämpfen mit all unserer Leidenschaft für weiteren feministischen Fortschritt“, sagte Bures.
Holzleitner: Wir kämpfen gegen Rückschritte in der Frauenpolitik
Die Vorsitzende der SPÖ-Frauen und SPÖ-Gleichbehandlungssprecherin Eva-Maria Holzleitner betonte, dass die Vorkämpferinnen in der SPÖ-Frauenpolitik gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und Frauenvereinen die letzten Jahrzehnte viele Fortschritte erreicht haben. „Die bröckeln in der aktuellen Frauenpolitik.“ Als Beispiel nannte Holzleitner den Frauenfonds, den die aktuelle Frauenministerin plant. Dieser Fonds entzieht sich jeder parlamentarischen Kontrolle und ist komplett undurchsichtig. „Hier besteht die große Gefahr, dass kritischen Frauenorganisationen ihre Gelder gekürzt werden“, so Holzleitner, die betont, „dass wir hier nicht zuschauen werden, dass öffentliche Gelder in eine Blackbox verschoben werden.“
Maltschnig: Breite Palette an Bildungsangeboten
Maria Maltschnig, die Direktorin des Renner-Instituts, betonte die Wichtigkeit des Barbara-Prammer-Symposiums als feministischen Auftakt des Jahres und die breite Palette des Renner-Instituts an Bildungsangeboten in diesem Bereich, im Besonderen die Frauenakademie.
Andor: In der Pandemie steigt die Gewalt an Frauen
László Andor, Generalsekretär der Foundation for European Progressive Studies (FEPS), sagte in seinem Beitrag: „Im Jahr 2022 müssen wir leider einen Stillstand in der Gleichberechtigung feststellen. Aufgrund der Pandemie ist die Gewalt an Frauen gestiegen. Die geschlechtsspezifische Gewalt führt zu großem Leid. In einigen Ländern wird die Istanbul Konvention leider nicht ernst genug genommen. Dringend notwendig sind umfassende Maßnahmen, um Frauen zu schützen sowie ein adäquates Mindesteinkommen, um die Unabhängigkeit von Frauen zu sichern.“
Unter den mehr als 200 Teilnehmer*innen sind unter anderem Nationalrät*innen, Landesfrauenvorsitzende, Kommunalpolitiker*innen, Botschafter*innen aus vielen Ländern, wie etwa die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Evelyn Regner, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, die ehemalige SPÖ-Frauenvorsitzende und SPÖ-Kultursprecherin Gabriele Heinisch-Hosek, Direktorin des Renner-Instituts Maria Maltschnig, SPÖ-Bundesratsfraktionsvorsitzende, ÖGB-Frauenvorsitzende und Vizepräsidentin Korinna Schumann, AK-Präsidentin Renate Anderl, Ex-Ministerinnen Maria Berger und Helga Konrad, SPÖ-Frauengeschäftsführerin Ruth Manninger, oder Botschafter und langjähriger Prammer-Mitarbeiter Helfried Carl. Keynote-Sprecherinnen sind die Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie Rosa Logar und die Leiterin des Sekretariats im Europarat zum Monitoring der Umsetzung der Istanbul Konvention Johanna Nelles.
Rosa Logar: Unterstützung für von Gewalt betroffene Frauen muss ausreichend finanziert werden
„Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung und kein privates Problem. Gewalt gegen Frauen ist auch kein kulturelles Phänomen. Es gibt kein Land auf dieser Welt, in dem Frauen nicht von struktureller Gewalt betroffen wären. Das liegt an der historisch gewachsenen Machtungleichheit zwischen Männern und Frauen. Die Istanbul-Konvention ist ein Beweis dafür“, erklärte Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie und Mitglied von GREVIO, dem unabhängigen Expertenorgan zum Monitoring der Istanbul-Konvention, in ihrer Keynote am 8. Barbara-Prammer-Symposium. „Die Istanbul-Konvention ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, denn sie fordert konkrete Änderungen und ein konkretes Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen“, bekräftigte die zweite Keynote-Sprecherin Johanna Nelles, die Exekutivsekretärin der Istanbul-Konvention.
Zumindest 31 Frauenmorde im vergangenen Jahr zeigen, dass es noch vieler weiterer struktureller und legislativer Maßnahmen bedarf. Rosa Logar brachte die Forderung zahlreicher Gewaltschutzorganisationen nach einer Budgeterhöhung um 228 Millionen Euro vor: „Derzeit betreut eine Beraterin etwa 250 bis 300 Betroffene im Jahr. Wir können mit den derzeitigen Mitteln jeder Betroffenen nur etwa sieben Stunden pro Jahr widmen. Das reicht einfach nicht. Wir fordern daher einen gesetzlich festgelegten Betreuungsschlüssel für die Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen!“
Johanna Nelles: Mehr Mittel für den Gewaltschutz in Österreich notwendig
Johanna Nelles wies darauf hin, dass die Ausweitung der finanziellen Mittel auch eine der verbindlichen Empfehlungen der GREVIO war. Empfohlen wurde ebenso die Einführung einer Rechtsgrundlage zur Finanzierung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Außerdem zeigte der GREVIO-Bericht auf, dass in Österreich Unterstützung und Beratung nicht allen Gruppen von Frauen gleichermaßen zugänglich sind. Das Angebot müsste besonders für marginalisierte Gruppen von Frauen wie Frauen mit Behinderungen, asylsuchende Frauen und Frauen mit Suchtproblemen ausgebaut werden. „Das ist der ganzheitliche Ansatz der Istanbul-Konvention! In Österreich würde es eine bessere Umsetzung der Maßnahmen der Konvention in allen Grundpfeilern in Bezug auf alle Gewaltformen und alle Gruppen von Frauen mit angemessener Finanzierung brauchen“, so Johanna Nelles anhand des GREVIO-Berichts.
Außerdem betonte die Exekutivsekretärin der Istanbul-Konvention die Ebene von Städten und Gemeinden in der Umsetzung von Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und führte die Stadt Wien als positives Beispiel an: „Der Ansatz der Stadt Wien, für Betroffene nach dem Aufenthalt im Frauenhaus eine weitere Bleibe zu finden, wurde im GREVIO-Bericht hervorgehoben, um ein Vorbild zu setzen für andere, die auf der Suche nach Ideen sind.“
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