Frauen "mitzumeinen" reicht nicht aus, denn Sprache schafft Realität
Nachdem Musiker Andreas Gabalier die Bundeshymne bewusst ohne die "Töchter" gesungen hat, sind es sogenannte Sprachkritiker, die gegen eine geschlechtersensible Sprache auftreten und etwa die Abschaffung des Binnen-I fordern – sie nennen es "Verunstaltung", "Zerstörung der Sprache" und wollen zurück zu "sprachlicher Normalität", zur "traditionsgemäßen Anwendung". "Das bedeutet, es gibt Menschen, die zurück wollen zur patriarchalischen Sprache, weil sie offenbar meinen, dass Schluss sein muss mit Feminismus. Es reicht aber nicht aus, wenn Frauen bei männlichen Formulierungen 'mitgemeint' werden, das Binnen-I ist ein bewusster Akt, um Frauen sichtbar zu machen. Denn Sprache schafft Realität", erklärt die SPÖ NÖ Landesfrauengeschäftsführerin Annemarie Mitterlehner: "Bewusste Sprache hat zum Ziel, auf Geschlechterklischees aufmerksam zu machen und sie zu durchbrechen. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Der Vorstand einer großen Firma braucht einen Vorsitz. Es wird nur über 'den neuen Vorsitzenden' gesprochen – damit denken die meisten Personen an einen Mann."
"Seit mehr als 20 Jahren wird das verbindende Binnen-I verwendet. Damit ist Österreich ein Stück moderner und geschlechtsgerechter geworden. Die reaktionären Kräfte sollten aufhören, unsere Sprache rückwärts modulieren zu wollen – denn Frauen haben das Recht, genauso ernst genommen zu werden, wie wir Männer; sei es in der Bundeshymne oder in der Sprache", so SPÖ NÖ Landesgeschäftsführer Robert Laimer: "Es macht einen Unterschied, ob man von Lehrern oder Lehrerinnen spricht, von Ärzten oder Ärztinnen. Wer Frauen nicht nennt, ignoriert sie; Sprache formt das Denken und damit die Gesellschaft. Und in einer männerdominierten, konservativen Gesellschaft wird es wenige Veränderungen zugunsten von Frauen geben."
Natürlich gäbe es viele andere und wohl auch wichtigere Herausforderungen zu bewältigen – beginnend bei der dringend notwendigen Senkung der Lohnsteuer bis hin zur Schaffung leistbarer Wohnungen, sagt Mitterlehner: "Wenn sich alle ÖsterreicherInnen, die die Bundeshymne neu und auch die Verwendung geschlechtersensibler Sprache kritisieren, mit uns gemeinsam einsetzen würden für den Kampf um das Schließen der Einkommensschere, für die Schaffung von flächendeckenden Kinderbetreuungseinrichtungen, um Familie und Beruf vereinbar zu machen, das Erreichen eines gleichberechtigten Frauenanteils in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen, dafür, dass mehr Männer Karenzzeiten in Anspruch nehmen, dass Mädchen und Buben nicht mehr von klein auf in stereotype Rollen gezwängt werden – dann könnten wir eine gesellschaftliche Veränderung herbeiführen." Mitterlehner zeigt sich betroffen von der Richtung, in die die Diskussionen betreffend der "Töchter" in der Bundeshymne und der Verwendung geschlechtersensibler Sprache geht: "Österreich hat viele große 'Töchter'! Weibliche Formen unerwähnt zu lassen bzw. abzuschaffen, ist ein falsches Signal. Denn der Sprachgebrauch ist oft ein Motor für gesellschaftliche Veränderungen!"
Robert Laimer will "keine Gleichberechtigung in der Gesellschaft, sondern ein gleichberechtigte Gesellschaft": "Dazu gehört es auch, den Frauen in der Sprache einen Platz zu geben, ist doch auch die gendersensible Sprache bedeutend für ein gleichberechtigtes Miteinander. Warum setzt sich die geschlechtergerechte Sprache noch immer nicht als Selbstverständlichkeit in unserem Bewusstsein fest? Warum ist es scheinbar übertrieben, wenn die Nennung beider Geschlechter eingemahnt wird?" Sprache sei, so Laimer, ein Produkt historisch-gesellschaftlicher Phänomene, also stelle sie auch die gesellschaftlichen Verhältnisse dar: "Die Schreibweise mit dem Binnen-I ist für mich verbindender als jede andere Schreibweise – deswegen wünsche ich mir auch für die Zukunft entsprechende Formulierungen. Denn Sprache benennt Realitäten, sie schafft dadurch Wertvorstellungen und ordnet Wirklichkeit."
Nach Ludwig Wittgenstein seien die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt. "Wir SozialdemokratInnen wollen aber keine begrenzte Welt, sondern über den Tellerrand sehen, um uns und die Gesellschaft weiterzuentwickeln, um nicht stehenzubleiben", erklären Laimer und Mitterlehner abschließend.