Leserinnenbrief von Anna Sporrer, ehem. Vorsitzende der Gleichbehandlungskommission

An Herrn
Dr. Christian Rainer
Herausgeber und Chefredakteur
Profil

"Profilierter Einkommensbericht"

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Die aktuelle Profil-Titelgeschichte "Mit List und Lücke" der Herren Redakteure Gernot Bauer und Robert Treichler geben mir Anlass zu einem Vorschlag und weiteren Bemerkungen:

Ich lade das Profil bzw. die NEWS-Verlagsgruppe nachdrücklich dazu ein, freiwillig und umgehend einen Einkommensbericht vorzulegen – dies noch bevor das Unternehmen die Verpflichtung gemäß § 11a des Gleichbehandlungsgesetzes trifft. Dieser Bericht sollte in der Folge einer Evaluierung durch eine spezialisierte Stelle wie der Gleichbehandlungsanwaltschaft unterzogen werden.  Er sollte zumindest eine detaillierte Aufgliederung der Anzahl von Frauen und Männern in den einzelnen in Verwendungs- und Entlohnungsgruppen enthalten. Darüber hinaus wären aber auch geschlechtsspezifisch gegliederte Angaben über Beschäftigungsbedingungen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Aufstiegsmöglichkeiten sowie Beschäftigungsdauer und Art der Beendigung der Arbeitsverhältnisse aufschlussreich. Wenn der Befund über einen solchen Einkommensbericht des Profil bzw. der NEWS-Verlagsgruppe die Hauptthese der dieswöchigen Titelgeschichte, nämlich dass es so gut wie keine Diskriminierungen zwischen Frauen und Männern bei Entlohnung und Karriere gibt, bzw. die gegebenen Differenzen zu vernachlässigen sein werden, soll es mich vor allem für die Frauen in der Verlagsgruppe freuen!

Zur Titelgeschichte selbst gäbe es Vieles zu sagen, vorab nachstehend das Offenkundigste:

Wie der Beitrag richtig ausführt, ist die "bereinigte" Lohnquote bereits seit vielen Jahren Allgemeingut, vor allem in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Aus der Bestimmung des Datums für den diesjährigen Equal Pay Day mit dem „unbereinigten“ Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen vermeinen die Autoren allerdings, „listiges“ Verschweigen bzw. bewusstes Operieren mit „falschen Zahlen“ durch die österreichische Frauenpolitik aufdecken zu können. Tatsächlich wird aber seit Langem in zahlreichen, auch öffentlich zugänglichen Berichten auf die bereinigte Lohnquote hingewiesen (zB verweist das Sozialministerium zumindest seit 2002 auf eine um die Teilzeit bereinigte Quote von 17,8%), auch bei Wikipedia findet sich ein umfassender Beitrag dazu. Dass diese Erkenntnisse den Wissenshorizont der Autoren offenbar erst jetzt erstmals erreicht haben, ist wohl eher ihnen selbst als der Frauenpolitik anzulasten. Dass für eine politische Aktion wie dem Equal Pay Day weiterhin die unbereinigten Einkommensunterschiede herangezogen werden, ist wohl mehr dem Symbolcharakter und der damit beabsichtigten Sensibilisierung für ein gravierendes (im Übrigen weltweites) Problem geschuldet, als der vermeintlichen Hinterlist heimtückischer Frauenrechtlerinnen.

Zum "Bereinigen" der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern verweisen die Autoren für Österreich auf eine Studie, die auf 12% „unerklärlicher“ Lohndifferenzen kommt. Interessant wäre hier aber eine Auseinandersetzung mit den im Zuge der „Bereinigung“ angewandten Faktoren. So können – je nach Schärfe des Blickes auf benachteiligende Umstände – Faktoren als diskriminierend gewertet werden oder eben nicht. Die Behauptung, den Frauen würde "Karrieremotivation" fehlen, erscheint dabei höchst diskussionswürdig: Ist es wirklich den Frauen allein anzulasten, wenn sie nicht die für eine gedeihliche Berufslaufbahn erforderlichen Rahmenbedingungen vorfinden, an gläserne Decken stoßen, das familiäre und gesellschaftliche Umfeld ihnen nach wie vor die Hauptzuständigkeit für Betreuung und Pflege der Angehörigen zuschreibt, geeignete Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen fehlen? Haben die Frauen tatsächlich die Freiheit, sich für oder gegen eine Karriere zu entscheiden oder resultiert die angeblich mangelnde Motivation nicht (auch) aus benachteiligenden Faktoren, die demotivieren?

Höchst erfreut darüber, den Gender Pay Gap auf diese Art also halbieren zu können, zitieren die eifrigen „Aufdecker“-Journalisten flugs eine Datenauswertung des deutschen Bundesamts für Statistik, um die Lohnunterscheide zwischen Frauen und Männern mit 8% als einstellig – und damit so gut wie vernachlässigbar – hinzustellen. Aber gerade auch hier zeigen die als Beispiele angeführten, angeblich "verzerrenden" Faktoren, dass dabei Prozente herausgerechnet werden, die bei richtiger Anwendung der Antidiskriminierungsbestimmungen wohl nicht abgezogen werden dürften: So ist bekannt, dass Qualifikationsbewertungen oft einseitig vorgenommen, Einzelarbeitsverträge insbesondere in punkto Gehalt keinem Gender-Vergleich im Unternehmen unterzogen werden, Zulagensysteme und die Zuordnung in Leistungsgruppen diskriminatorische Wirkungen entfalten können etc. Die reine Statistik vermag sozialpolitisch relevante Umstände oder den Rahmen des Gleichstellungsrechts eben nicht zu berücksichtigen und hat daher für solche Phänomene keinen abschließenden Erklärungswert. Hätten sich die Autoren nicht nur mit (nebenbei bemerkt fast ausschließlich männlichen) UnternehmensvertreterInnen und Betriebsräten unterhalten, sondern mit den auf diese Fragen spezialisierten Gleichbehandlungsstellen oder Wissenschaftlerinnen, wäre die Interpretation dieser Daten wohl anders ausgefallen. Damit wäre aber der beabsichtigte „Plot“  des Artikels baden gegangen, also hat mann offenbar ausschließlich jene Erkenntnisquellen gesucht, die dem Ziel der Anprangerung von Arglist und Tücke der Frauenpolitik dienen. Qualitätsjournalismus sieht anders aus.

Last, but not least: Selbst wenn die "unerklärlichen" Lohndifferenzen tatsächlich lediglich 12% oder 8% betragen würden, kann selbst daraus eben gerade nicht der Schluss gezogen werden, das alles nur Mythos wäre: Vielmehr ist doch jede, auch noch so „bereinigte" Lohnquote der eindrückliche Beweis für Diskriminierungen lediglich aufgrund eines einzigen Umstandes, nämlich des weiblichen Geschlechts. Die Autoren fragen sich, wie es sein kann, dass trotz des gesetzlich festgelegten Grundsatzes gleicher Entlohnung Frauen schlechter bezahlt werden? Gute Frage! Die Antworten darauf werden seit Jahrzehnten gesucht, in Institutionen wie der Internationalen Arbeitsorganisation ebenso wie der Europäischen Union samt Gerichtshof und vielen anderen Stellen. Ganz offensichtlich ist das Recht allein nicht ausreichend, um gesellschaftliche Mechanismen auszuhebeln, durch welche die (wirtschaftlich) Stärkeren auf Kosten der Schwächeren profitieren. Aber sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen ist erfahrungsgemäß unbequem und unbeliebt. Bequemer finden es die Autoren des Titelbeitrages offenbar, das Problem gleich vom Tisch zu wischen – der Applaus wird ihnen zeigen, welcher Seite sie damit gefällig sind.

Dr.in Anna Sporrer
ehem. Vorsitzende der Gleichbehandlungskommission